Von der „MEWA“ zum Kombinat VEB Fahrzeugelektrik Ruhla und in die Zeit nach der Wende
Ich habe im September 1974, direkt nach meinem Studium, als Technologe (heute Fertigungsplaner) für die Stanzerei in der „MEWA“ (Metallwarenfabrik) angefangen.
Es war gerade eine Zeit in der DDR, in der Akademiker/Ingenieure sehr knapp waren und daher dringend gesucht wurden. Um die Zeit bis zum Studienabschluss zu verkürzen, wurden für eine befristete Zeit Sonderregelungen eingeführt, so auch ein Abitur mit Berufsausbildung (nicht zu verwechseln mit der Berufsausbildung mit Abitur, die es parallel auch noch gab).
Ich habe mein Abitur am Ernst-Abbe-Gymnasium in Eisenach gemacht und jede vierte Woche hatte ich eine Berufsausbildungsphase im damaligen Elektroschaltgerätewerk Eisenach. Damit wurde sichergestellt, dass es auch industrie- und praxisbezogene Fertigkeiten gab. Nach dem 12-jährigen Abitur war ich somit auch Facharbeiter für Elektromechanik (zugegeben war das natürlich nicht ganz vergleichbar mit einer vollwertigen Facharbeiterausbildung, eher ein „Industrie-Schnupperkurs“).
Die Industrie hat nun bereits vor dem Abschluss des Abiturienten versucht, potenzielle zukünftige Ingenieure an sich zu binden. So kam es zu Gesprächen in den Gymnasien, um sogenannte Studienförderverträge abzuschließen. Da ich Interesse hatte, nach meinem Studienabschluss in Thüringen zu bleiben (es war ansonsten durchaus auch üblich, dass man nach dem Studium in irgendeine Schwerpunktindustrie, z.B. Braunkohle etc. delegiert wurde), habe ich mich entschlossen, solch einen Studienfördervertrag mit dem damaligen Kombinat VEB Fahrzeugelektrik Ruhla, mit Werken des Stammbetriebes in Eisenach, Ruhla und Brotterode, abzuschließen. Dieser Studienfördervertrag hatte neben dem Ziel nach dem Studium eine Arbeit in der Region zu haben, den Vorteil, dass ein Vertreter des Betriebes/Personalabteilung, auch „Studentenvater“ genannt, uns am Studienort besuchte, so den Kontakt hielt, und – auch wichtig für Studenten – ein paar Bier ausgab. Besonders schön waren dann die Weihnachtsfeiern im ehemaligen FER-Klubhaus „Mille“ in Eisenach. Da traf man alte Schulfreunde, es gab ein Essen, zu Trinken und Bücherschecks für das Studium.
Auch der Grundwehrdienst der NVA wurde aus Zeitgründen in das Studium integriert und so wurde für die Studenten dieser Sonderregelung der Wehrdienst anstatt normalerweise in 1 1/2 oder gar 3 Jahren Wehrdienst in nur 6 Wochen mit abschließender Vereidigung absolviert. Ich hatte also mit noch nicht einmal 24 Jahren 1974 mein Abitur, einen Facharbeiterbrief als Elektromechaniker, ein abgeschlossenes Studium als Dipl.-Ing. und meinen Grundwehrdienst der NVA absolviert, heute unvorstellbar!
Mein Ziel, als gebürtiger Eisenach auch im Werk Eisenach zu arbeiten, ging nicht in Erfüllung und so landete ich in Ruhla in der MEWA, aber in der Region! Immerhin war die Arbeitsstelle jederzeit mit dem Bus erreichbar.
In der MEWA herrschte ein sehr familiäres Arbeitsklima, auch wenn man als „Isenächer“ einige Zeit brauchte, um eingebürgert zu werden ... aber mittlerweile bin ich ja ein Rühler.
Noch eine Anmerkung, ich habe im damaligen Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) Automatisierungstechnik studiert. Ich erinnere mich, dass der Parteivorsitzende des Kombinats FER kam und Projekte mit jungen Ingenieuren für die „MMM“ (Messe der Meister von Morgen) besprechen wollte. In diesem Zusammenhang fragte er mich, wie es mir als jungem Ingenieur hier bei FER gefallen würde. Mir ist spontan folgende Antwort eingefallen: „Wie das so ist, wenn man nach 4 Jahren Studium der Automatisierungstechnik/Theoretische Elektrotechnik als Technologe in einer Stanzerei mit uralter Technik eingesetzt wird und dann nicht mal mehr das Ohm’sche Gesetz braucht“ ... besonders gut kam das natürlich nicht an. Klar ist aber, dass man nicht ausbildungsgerecht eingesetzt wurde, sondern da, wo man einfach dringend Ingenieure mit abgeschlossener Ausbildung brauchte.
Aber als Ingenieur in einem artfremden Arbeitsgebiet war ich besonders von der uralten Technik der Brennerfertigung begeistert, der Fertigung mit PAUST (Stufenumformautomaten) und der völlig mechanischen „Automatisierung“ der Roll- und Drückmaschinen, der Loch- und Stanzautomaten für die Brennerkronen der Rundbrenner ... ganz ohne Elektronik!
Nun saß eines Tages eine Eule im Innenhof der MEWA. Else, eine schon betagte aber weise Frau, als Pförtnerin beschäftigt, sagte: „Wenn die Eule da ist, ist das das Ende der MEWA!“
Das Ende war es nicht ganz, aber das Ende als selbstständiges Werk im Kombinat VEB Fahrzeugelektrik Ruhla. Die MEWA wurde ein Betriebsteil im FER Stammwerk Ruhla, der „Klippen“.
Damit begann auch für mich eine berufliche Veränderung. Ich wurde in das Stammwerk berufen, wurde Gruppenleiter Technologie und später Haupttechnologe. Mit einem eigenen Rationalisierungsmittelbau wurden für damalige DDR-Verhältnisse moderne Fertigungsstraßen mit selbst hergestellter Robotertechnik gebaut. Zu kaufen gab es so etwas nicht, da es in der DDR nicht hergestellt wurde und Devisenmittel dafür nicht vorhanden waren.
Dann kam die Wende und mit ihr zerfiel das Kombinat VEB Fahrzeugelektrik Ruhla, es entstanden selbständige Betriebe. Der Standort Ruhla mit Schwerpunkt der Leuchten- und Anlasser-Produktion für Wartburg und Trabant hatte mit dem Zusammenbruch der Fahrzeugproduktion in der DDR keine Zukunft mehr.
Es gab aber im Kombinat auch damals schon Produktionen für das sogenannte „NSW“ (Nicht-Sozialistische-Wirtschaftsgebiet). Das waren in Ruhla die Fanfarenfertigung für den französischen PSA-Konzern, Leuchten und Zusatzscheinwerfer für VW. In Brotterode eine moderne Hauptscheinwerferproduktion für VW und in Eisenach die Fertigung von Wischeranlagen für VW und PSA.
Diese lukrativen Geschäftsfelder wurden von Bosch mit allen Verträgen übernommen und zum Teil in einem neuen Werk der Robert Bosch Fahrzeugelektrik Eisenach GmbH in Eisenach mit vielen Mitarbeitern von FER weiter produziert.
Wir waren zu einer „Werbetour“ mit mehreren Bussen und vielen Mitarbeitern von Bosch eingeladen, die Anlasser-Produktion in Hildesheim zu besichtigen. Dort wurden mit ca. 130 Mitarbeitern damals ca. 33.000 Starter am Tag produziert, bei uns ca. 1.300 Starter mit fast 1.000 Mitarbeitern! Es war mit sofort klar, unsere Stückzahlen konnten dort fast vollautomatisch mitgefertigt werden. Die Produktion in Ruhla hatte keine Chance von Bosch übernommen zu werden, die Anlasser-/Starterfertigung bei Bosch in Hildesheim und Göttingen war viel effektiver.
Als Ausgleich wurde eine Baugruppenfertigung von Bosch Hildesheim und Göttingen nach Ruhla verlagert, es konnten damit vielleicht 50 der ehemals 1.300 Beschäftigten erhalten werden.
Man muss natürlich auch verstehen, dass in den VEB nicht nur produktives Personal war, da gab es vom Rationalisierungsmittelbau, Werkzeugbau, Fuhrpark, Kindergartenpersonal, medizinischer Versorgung, sozialen Einrichtungen, wie Sportstätten und Klubhaus und nicht zuletzt Partei- und Gewerkschaftsfunktionären usw. unvergleichbar viele unproduktive Mitarbeiter, die es in keinem Konzern auf der anderen Seite der Grenze gab!
Ich bin noch kurz vor der Wende von der Technik in die TKO (Technisches Kontroll-Organ – heute Qualitätssicherung) gewechselt. Im Zusammenhang mit der Produktionsverlagerung von Bosch nach FER Ruhla hatte ich die Möglichkeit, jeweils vier Wochen bei Bosch in Hildesheim und Göttingen vor Verlagerung der Produktion diese kennenzulernen. Mir wurde das Qualitätsmanagementsystem von Bosch erläutert und ich wurde in für mich völlig neue Qualitätstechniken, wie FMEA, Prozess- und Maschinenfähigskeitsanalysen, Fehleranalyse mittels 8-D-Report geschult und habe diesbezügliche Schulungsmaterialien erhalten. Das war für mich die Basis für das weitere berufliche Leben nach der Wende, denn es war die Grundlage für den Aufbau eines funktionierenden Qualitätsmanagementsystems, zunächst für die verbleibende FER-Fertigung in Ruhla (Fanfaren und Signalhörner sowie Bosch-Baugruppenfertigung).
Während die FER-Werke in Ruhla und Eisenach dem Abriss entgegen gingen, hatten 1990 zwei verantwortliche Leiter des Kombinats VEB Fahrzeugelektrik Ruhla, die Herren Lantzsch und Bachmann, die Vision und den Mut, eine neue FER GmbH zu gründen. Basis war der Rest der nicht so lukrativen Produktion, die Bosch hinterlassen hatte. Es entstanden die Sparten Leuchtenfertigung, Kabelfertigung, Akustik und Fahrradbeleuchtung. Vielleicht war es eine glückliche Ausnahme, aber Dank eines sehr erfolgreichen von der Treuhand beigestellten Aufsichtsrates, gelang es, das 1994 nach nur einjähriger Bauzeit auf der grünen Wiese in Eisenach–Stockhausen gebaute Neu-Werk mit über 500 Mitarbeitern aus Eisenach und Ruhla, zum Erfolg werden zu lassen. Die neue FER GmbH entwickelte sich schnell zum zuverlässigen und anerkannten Zulieferanten für fast alle Automobilhersteller in Deutschland und wurde zum Global-Player mit Werken in Spanien, Polen, Weißrussland, Mexiko und Vietnam. Ein Vorzeigeprojekt, weil sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl wohl so den Aufbau der ehemaligen DDR-Betriebe zu „blühenden Wiesen“ vorstellte.
Ich hatte das Glück im Neu-Werk das Qualitätsmanagementsystem von Anfang an mit aufbauen zu können und später dann als Leiter Qualitätsmanagement den Standort in Eisenach-Stockhausen und alle Auslandsstandorte (außer der Produktion in Vietnam – dort war nur die Fertigung der Fahrradbeleuchtung) auch zu allen erforderlichen Zertifizierungen führen zu können.
Der Kreis zu meinem Studium hat sich dann doch noch geschlossen, letztendlich hatten wir es jetzt auch mit hochmoderner Elektronik für die Fahrzeugbeleuchtung zu tun.
Die FER GmbH wurde 2002 von Truck-Lite übernommen und ist heute als Rebo-Lighting and Electronics GmbH ein chinesisches Unternehmen.
Alfred Linß
Ruhla, Februar 2020