Ruhla im Takt der Zeit – Zur Sicherung der medizinischen Versorgung
Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
seit fast zwei Wochen beschäftigt viele von uns die medizinische Versorgung in Ruhla. Anlass für die berechtigte Aufregung ist die "vorübergehende Schließung der Poliklinik Ruhla", wie es die Geschäftsführung des MVZ Eisenach, einer Tochtergesellschaft des St. Georg Klinikums geschrieben hat. Was am 23.1.2020 mit einem knapp und unsensibel formulierten Zettel an der Tür begann, hat sich bald zu einem Thema von großem Interesse entwickelt. Zuerst hieß es, Patienten könnten alle Unterlagen abholen, Untersuchungen etc. finden nicht mehr statt, man bitte um Verständnis. Auf mein Nachfragen hat das MVZ andere Ärzte aus dem Erbstromtal dafür gewinnen können, auch Patienten aufzunehmen, entsprechend Rezepte oder Überweisungen auszustellen. Dabei bleiben viele Fragen offen. Was machen jetzt alte und gebrechliche Patienten, die nicht nach Thal oder Wutha-Farnroda kommen? Wie ist das mit Hausbesuchen? Was wird aus der "Poliklinik Ruhla als Filialpraxis des MVZ Eisenach"? Wann haben die Verantwortlichen davon gewusst? Warum wurde bei der zwischenzeitlichen Vertreterlösung nicht auf die beiden anderen Allgemeinarztpraxen in Ruhla verwiesen?
Für all diese Fragen habe ich größtes Verständnis. Die medizinische Versorgung ist eine der Achillesfersen unserer Gesellschaft. Gesundheit ist bei jedem Geburtstagswunsch dabei. Hauptsache gesund, hört man immer öfter zu solchen Anlässen. Alle Erwerbstätigen sind auf schnelle Genesung durch ärztliche Hilfe angewiesen. Es ist ein Muss für ihre Leistungsfähigkeit. Alle Menschen mit chronischen Erkrankungen benötigen ihre Medikamente. Es geht immer darum, ihr Leiden zu lindern. Alle hochbetagten Menschen bedürfen der besonderen Zuwendung. Es ist medizinischer und pflegerischer Auftrag, ihr Altern und ihr Sterben in Würde zu begleiten. Und dafür nehmen die Ärzte auch die Verantwortung für ein Stück Lebensqualität wahr, bis zum Schluss. Und darin fußt auch die Verantwortung der Geschäftsführung, den Betrieb abzusichern. Und letztlich ist es auch der Auftrag des Wartburgkreises und der Stadt Eisenach, als öffentliche Träger des St. Georg-Klinikums, die medizinische Versorgung nachhaltig zu erhalten. Hier stehen Fragen im Raum, welche Möglichkeiten die Träger wahrnehmen oder wahrgenommen haben, um die Landespolitik zu sensibilisieren, die Ärztestellen im ländlichen Raum für Medizinabsolventen attraktiver zu gestalten und letztlich um auch die Bundespolitik zu sensibilisieren, dass bei der Altersentwicklung der Ärzteschaft und der Patienten auch mehr allgemeine Fachärzte ausgebildet werden sollten, um den Bedarf der Zukunft nicht nur im ländlichen Raum langfristig decken zu können.
Angesichts dieser Bedeutung der medizinischen Versorgung für einen jeden, ist auch so manche Wutreaktion zu verstehen, wenn es anfangs nur lapidar hieß, sie können ihre Unterlagen abholen. Dabei ist uns allen doch Vertrauen in den Arzt oder die Ärztin so wichtig und hofft doch jeder auf Kontinuität in der Betreuung durch einen Arzt oder eine Ärztin seiner Wahl. Aber Wut hilft nicht, und auch keine Beschimpfungen von vermeintlich Verantwortlichen. Leider blieben die Gerüchte in den sogenannten "sozialen Medien" nicht aus, ebenso allgemein geäußerter Verdruss an der Politik, auch in unserer Stadt. Das lässt mir als Bürgermeister keine Ruhe. Seit der ersten Information, fragte ich mich selbst: Was habe ich für Einflussmöglichkeiten? Und so ging ich vor:
- Nachfrage bei der Geschäftsführung des MVZ Eisenach zum Sachverhalt selbst und Anregung zu einer klaren Information der Öffentlichkeit, was am 23.1.2020 zunächst leider ausblieb. Jedoch lägen laut Geschäftsführung keine wirtschaftlichen Gründe, sondern nur ein Problem mit der Besetzung vor, weshalb keine Behandlung mehr möglich sei.
- Nachfrage bei der Geschäftsführung des MVZ Eisenach zur zwischenzeitlichen Lösung der Versorgung von Patienten in anderen Arztpraxen, was in zwei Schritten am 27. und 28.1.2020 geschah, zuerst als Hinweis auf Patientenübernahme durch Arztpraxis Lipfert und Dr. Tost in Wutha-Farnroda und dann noch durch deren Filiale in Thal.
- Nachfrage bei allen allgemeinmedizinischen Arztpraxen und Filialen in Ruhla, Thal und Wutha-Farnroda am 3.2.2020 mit dem Ergebnis, dass alle Patienten annehmen, allerdings Hausbesuche neuer individueller Patienten aufgrund der Kapazitäten nur eingeschränkt möglich sind, jedoch in Pflegeeinrichtungen erfolgen.
- Nachfrage bei der Geschäftsführung des MVZ Eisenach über die langfristige Perspektive mit der Antwort, dass derzeit ein Agent mit der Suche nach einem Allgemeinmediziner im ganzen Bundesgebiet beschäftigt sei. Die Suche nach einem Arzt oder einer Ärztin für Allgemeinmedizin würde jedoch nicht leicht, denn es gibt auch in vielen anderen Städten Arztpraxen mit nicht besetzten Arztsitzen. Die Wiederbesetzung der Poliklinik Ruhla wird angesichts der Altersstruktur der Ärzte und der allgemeinen Situation des Ärztemangels die Geschäftsführung des MVZ aber auch die Stadt Ruhla noch längere Zeit beschäftigen.
Sicher zählt bei der Absicherung der medizinischen Versorgung hier wie da ein ganzer Komplex an Faktoren. Dabei geht es nicht nur um die Finanzierung und die Trägerschaft. Auch beim ärztlichen Personal geht es um Fragen nach dem Lohn und den medizin-technischen Möglichkeiten sowie dem Arbeitsumfeld. Nicht zuletzt aber spielen bei der Entscheidung zum Ort der Arbeit auch für jeden Arzt oder jede Ärztin die Vorzüge der Kommune mit ihrer Lebensqualität und die Akzeptanz in der Bevölkerung eine Rolle. Da haben wir alle noch zu lernen, unsere Stadt im richtigen Licht zu sehen, Bewährtes zu bewahren, Überkommenes zu verändern und das Richtige zu tun, Falsches abzulegen, aufrichtig und sachlich in unseren Worten und in unseren Taten zu sein. Zugleich sind jetzt die Verantwortlichen der Geschäftsführung und der öffentlichen Träger in der Pflicht, für die langfristige Sicherung der medizinischen Versorgung in der Qualität und Quantität vor der „vorübergehenden Schließung“ zu sorgen. Immer aber braucht es einen Fürsprecher der Bevölkerung der Stadt. Dieser Pflicht komme ich auch in Zukunft nach und bleibe am Thema.
Ihr Bürgermeister
Dr. Gerald Slotosch